Purpur, Gold, Blau, Silber, Schwarz
Kleine Anmerkungen zum Couleur der Setzer und Drucker
von BB Andreas Jakob v/o Fozzy, September 2019
Dass in unserem Bundescantus „Stoßt an, die Grafia soll leben!“ die Zeile „Purpur, Gold, Blau und Silber der Kaiser uns gab, und Schwarz drucken stets uns’re Lettern sich ab“ vorkommt, dürfte allen unseren Bundesschwestern und Bundesbrüdern bestens bekannt sein. Ganz sicher werden auch alle Bundesgeschwister den Liedtext „aus dem Effeff“ wiedergeben können. Schließlich werden Bundeslieder grundsätzlich auswendig gesungen und bei Kneipen und Kommersen vom X mit den Worten „Text und Weise sind bekannt“ eingeleitet.
Quelle: Sammlung A. Jakob
Die Erzählung, auf die diese Zeile anspielt, dass Kaiser Friedrich III. von Habsburg den Druckern um das Jahr 1470 herum ein Wappen und diese fünf Farben verliehen und sie damit quasi „kollektiv geadelt“ habe, gilt heute allerdings als äußerst unwahrscheinlich. Die „Kaiser-Legende“ entstand vermutlich Mitte des 17. Jahrhunderts, als ein Bericht über die angebliche Verleihung eines Wappens an die Buchdrucker erschien, in dem allerdings noch nicht die „Fünffarbigkeit“ erwähnt wurde. Im Lehrbuch „Der in der Buchdruckerei wohl unterrichtete Lehr-Junge“ von Christian Friedrich Geßner (1743) findet sich eine Beschreibung des angeblichen kaiserlichen Buchdruckerwappens. Darin tauchen die fünf Farben — wild verstreut — alle auf: „schwarzer Adler / im goldenen Felde / blauer Grund / Greif aus Silber / Helmdecke teils roth.“
Das „Typographen-Lied“, auf dem unser Bundescantus basiert, wurde bei der feierlichen Aufstellung des Gutenbergdenkmals in Mainz am 14. August 1837 als Beitrag der Mannheimer Delegation vorgetragen. Das „Journal für Buchdruckerkunst, Schriftgießerei und die verwandten Fächer“, Nr. 10, vom 31. Oktober 1837, berichtete ausgiebig über die mehrtägigen Denkmal-Feierlichkeiten und druckte dabei auch den siebenstrophigen Text des Liedes ab. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand ist das die erste Veröffentlichung des „Drucker-Farbfünfklanges“ in der uns geläufigen Form.
Ich habe lange geglaubt, die Grafia habe die Farbgebung ihres Couleurs in der Verbindungsgründungsphase im Jahr 1955 — mit Bezug auf das Lied — selbst entwickelt. Zumindest legte das der Bericht unseres Gründungsmitgliedes Heinz Schwend (* 1932, ✝︎ 2019) von 1986 nahe, in dem er schrieb: „Die Farben der Verbindung sollten mit den alten Druckerzunftfarben […] aus dem Mittelalter übereinstimmen. Anregungen dazu entnahmen wir dem Lied „Stoßt an! Typographia soll leben“ aus dem Liederbuch der Schwarzen Kunst, Leipzig.“
Zum ersten Mal bekam ich an dieser Grafia-Historie etwas Zweifel, als ich Ende 2015 auf den Blog „Schreibenistblei“ des Berliner Druckers Martin Z. Schröder stieß. In einem Eintrag vom 21. Juli 2009 beschäftigte er sich ebenfalls mit dem Wappen der Buchdrucker. Darunter hatte ein Leser am 14. Juni 2015 folgenden Kommentar hinterlassen:
„Sehr geehrter Kollege! Ich bin gelernter Schriftsetzer (mit Gehilfen- und Gautschbrief!) und Maschinensetzer und erinnere mich plötzlich an das Coleurband, das ich lange Jahre getragen habe, aber das nicht mehr auffindbar ist. Ich bin mittlerweile 74 Jahre alt, bin aber immer noch in meinem Herzen „Schwarzkünstler“ und trauere dem Verfall der deutschen Sprachen nach. Wo kann ich ein Coleurband (purpur/gold/blau/silber/schwarz) erstehen? Vielen Dank und Gott grüß die Kunst!“
Wenn dieser Blog-Kommentator, wie es sein Beitrag nahelegt, ca. 1940/41 geboren wurde, und er nach (?) seiner Lehrzeit ein Couleurband getragen hat, dann müsste das um 1960 herum gewesen sein. Da war die Grafia gerade fünf Jahre alt. Abgesehen davon, dass es damals bei der Grafia nur Bierzipfel, Anstecknadel und Holzkrug und noch keine Couleurbänder gab, erscheint es mir ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Grafia-Band öffentlich im Betrieb (?) getragen wurde.
Irgendwie beschlich mich bei diesem Kommentar der Verdacht, dass es schon VOR der Gründung der Grafia Druckercouleur gegeben haben könnte. Den ersten Beweis für diese Vermutung fand ich in der Publikation „Der Buchdruckerstreik — Eine lustige Komödie in einem Aufzug“ (1908, Halle a. d. Saale). Auf einer Anzeigenseite am Ende des Büchleins wurden „Krawattennadeln, Schildform, fünffarbig, emailliert“ wahlweise mit Buchstaben-kombination V.d.D.B. angeboten. Ebenfalls be-worben wurden „Uhrband, Bierzipfel, fünffarbig mit Buchdruckerwappen“, „Weinzipfel, fünffarbig“ und „Buchdruckerband, fünffarbig“.
Verschiedene Couleurnadeln des V.d.D.B.
Quelle: Sammlung A. Jakob
Der „V.d.D.B.“ war der am 20. Mai 1866 in Leipzig gegründete „Verband der deutschen Buchdrucker“, die zweite Gewerkschaft Deutschlands. Nur die Tabakarbeiter waren 1865 mit dem „Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiter-Verein“ ein Jahr früher dran. Drei Jahre nach der Druckergewerkschaft folgte 1869 die Gründung des allerersten deutschen Arbeitgeberverbands, dem „Deutschen Buchdruckerverein“.
Mit unserem BB Ernst-Jürgen Berner v/o Auxiliarius (* 1965, ✝︎ 2019) hatte ich mich irgendwann über dieses Thema unterhalten und er berichtete, dass er aus seiner Familienhistorie eine solche Krawattennadel besitze. Am 7. März 2017 mailte er mir dazu: „Was ich dir auf die Schnelle zusenden kann, ist die Abbildung einer Krawattennadel meines Großvaters väterlicherseits, der mit seinem Bruder zusammen Ende der Zwanziger oder Anfang der Dreißiger Jahre eine Druckerei gründete. […]. Auf der Rückseite dieser Krawattennadel ist zu lesen: „BILDUNGSVERBAND D.DEUTSCH.BUCH-DRUCKER“. Anzumerken ist, bezüglich weiterer Überlegungen hinsichtlich irgendwelcher „Organisationen“, dass mein Großonkel, wenn ich das noch recht weiß, ein Schweizerdegen war, mein Großvater aber eigentlich gelernter Werkzeugmacher ...“
Im Oktober 2017 erreichte mich dann eine E-Mail folgenden Inhalts:
„Sehr geehrter Herr Jakob,
auf der Suche nach einem Bierzipfel und anderen Verbindungsartikel (Couleurband, Corpsschleifen) in den sog. Druckerfarben, bin ich auf eine Ab-bildung eines Bierzipfels der TV Grafia […] gestoßen. Besteht die Möglichkeit einen solchen Bierzipfel auch außerhalb Ihrer Verbindung zu erwerben oder können Sie mir den Hersteller nennen, der solche Verbindungsartikel mit den (5) Druckerfarben, vertreibt? Ich selbst bin Druckermeister (IHK Würzburg), Drucktechniker der Nürnberger Schule und ehem. Mitglied der in den 80er Jahren aufgelösten Verbindung „Gutenbergia Noris“. […]“.
Wir recherchierten zur genannten Verbindung „Gutenbergia Noris“ (1952 in Nürnberg als Absolventenvereinigung der Höheren Fachschule für das Graphische Gewerbe gegründet) und nahmen umgehend den Kontakt auf, fragten nach den Hintergründen und erhielten eine sehr ausführliche und interessante Antwort:
„Gerne will ich Ihnen meinen Wunsch, einen Bierzipfel mit den Druckerfarben zu besitzen, schildern. […] Nach meiner Lehrzeit […] als (Blei-) Schriftsetzer und (Buch-)Drucker, (=„Schweizer Degen“) in einer Universitätsdruckerei, wurde ich damals (noch), wie alle Lehrlinge, gegautscht und somit als Jünger Gutenbergs in den Gesellenstand übernommen.
Neben dem damals obligatorischen Gautschbrief, erhielt ich auch eine kleine Schleife (= Bandschnalle oder Ordensband) mit den Druckerfarben. Den Rat, dieses Schleifchen in Ehren zu halten, habe ich bis heute befolgt. Während der Gesellenzeit hatte ich einmal Kontakt mit einem Drucker, der mir stolz seinen „Bierzipfel“ mit Druckergreif zeigte. Damals wollte ich bereits als echter Jünger Gutenbergs einen solchen besitzen.“
Es muss also fünffarbige Drucker-Bierzipfel auch außerhalb und vor der Grafia gegeben haben!
Quelle: Sammlung A. Jakob
Über einige kleine Umwege über BB Chips an BB Creativix an mich gelangte Anfang 2018 eine Broschüre des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Abteilung Schriftguß, Satz und Druck-verfahren (2014) in meine Hände. Darin waren die Reiseutensilien des Wander-Gesellen „W. H.“ aus Bruch an der Mur/Steiermark, von 1899/1900 abgebildet, unter anderem ein fünffarbiger Zipfel mit Gutenbergmotiv. Im Text der Publikation wurde dazu erläutert: „Der organisierte Wander-Geselle zog von Ort zu Ort und erhielt bei den jeweiligen örtlichen Viatikum-Kassen der Buchdruckervereinigungen eine tägliche Reiseunterstützung/Wegzehrung. Hinweise zu den Orten mit Zahlstellen fand man, neben weiteren Anmerkungen wie z.B. Herbergen, möglichen Arbeitsstellen [...] in speziellen Reisebüchern aufgelistet.“
Fassen wir mal kurz zusammen: Es gab also fünffarbigen Zipfels mit Gutenbergmotiv bereits um 1899/1900, kommerzieller (Buch-) Drucker-Couleur wurde schon um 1908 angeboten. Die V.d.D.B.-Couleurnadel gabe es in den späten 1920er und frühen 1930er-Jahren.
Und es existieren fünffarbige Bierzipfeln mit dem Buchdrucker-Greif aus der Zeit vor der Gründung unserer Verbindung Grafia.
Zwei Schlussfolgerungen daraus:
Schlussfolgerung 1
Die Annahme, unsere Gründungsburschen haben unser Couleur selbst entwickelt, scheint mir zumindest sehr gewagt zu sein. Zwar kann eine „Neuerfindung“ oder „Ideengebung“ aufgrund der genannten Liedvorlage nicht ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher ist aber die Übernahme oder zumindest die deutliche Orientierung an einer bestehenden „Druckercouleurtradition“.
Schlussfolgerung 2
Wenn es schon so viele Nach- und Hinweise auf fünffarbigen „Vor-Grafia“-Druckercouleur gibt, dann müsste man davon doch etwas real in die Hände bekommen können!!!
Damit war der Sammeltrieb geweckt. Hallo ebay!
Zwischenzeitlich konnte einiges an „Branchen-couleurdevotionalien“ zusammentragen werden. BB Jenever und ich haben Nachweise gefunden, dass verschiedene Druckergesang- und Vergnügungsvereine die fünf Farben als Erkennungszeichen benutzten, u.a. im Elsass und in Österreich.
Quelle: Sammlung A. Jakob
Der V.d.D.B.-Gau-Dresden gab zum 60-jährigen Verbandsgründungs-Jubiläum Anstecknadeln mit fünffarbigem Band heraus. Der Arbeitgeber-verband „Deutscher Buchdrucker-Verein“ verlieh Mitarbeiter-Orden mit fünffarbiger Couleurschleife und separatem Reversknopf. Bierzipfel gab es mit unterschiedlichen Motiven — Satzfehlerteufeln, Gutenbergmotiven, Druckerwappen etc.
Quelle: Sammlung A. Jakob
In Budapest existierte zwischen 1903 und 1957 der Sport- und Fussballverein „Typografia“, der die fünffarbige Symbolik mit einem stark abstrahierten Greif in seinem Signet aufgriff.
Quelle: Sammlung A. Jakob
In der Nachkriegszeit scheint Couleur in der Arbeiterschaft allerdings schnell und weitest-gehend „aus der Mode“ gekommen zu sein. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten und durch die Erfahrungen mit „hehren Bannern“, unter denen man sich versammelte, auf die man Schwüre leistete, hinter denen man marschierte und für die man massenhaft starb, ist diese Entwicklung m.E. auch ziemlich gut verständlich.
Die Grafia ist heute wohl die einzige Branchenorganisation, die noch „aktiv“ die fünffarbige Symbolik der Drucker- und Setzerzunft verwendet. Abgesehen von einigen „altgedienten“ Druckern und Setzern sowie einigen befreundeten Verbindungen und Farbengeschwistern, denen wir die Historie unserer Farben erklärt haben, wissen auch in der heutigen Druck- und Medienbranche nur noch wenige, was die fünf Farben und unser Wappentier bedeuten.
Obwohl — eine Ausnahme habe ich doch gefunden:
Als am 20. Mai 2016 die Gewerkschaft ver.di die Ausstellung „Vom Deutschen Buchdruckerverband zur Einheitsgewerkschaft – ver.di. Solidarität. Emanzipation. Tarifkampf.“ eröffnete und damit dem exakt 150 Jahre früher gegründeten Verband der Deutschen Buchdrucker gedachte, da hing hinter dem Redner Frank Werneke die purpur-gold-blau-silber-schwarze Fahne.
Mit dem Buchdruckerwappen und dem Branchengruß „Gott grüß‘ die Kunst!“
Quelle: Sammlung A. Jakob
Die Erzählung, auf die diese Zeile anspielt, dass Kaiser Friedrich III. von Habsburg den Druckern um das Jahr 1470 herum ein Wappen und diese fünf Farben verliehen und sie damit quasi „kollektiv geadelt“ habe, gilt heute allerdings als äußerst unwahrscheinlich. Die „Kaiser-Legende“ entstand vermutlich Mitte des 17. Jahrhunderts, als ein Bericht über die angebliche Verleihung eines Wappens an die Buchdrucker erschien, in dem allerdings noch nicht die „Fünffarbigkeit“ erwähnt wurde. Im Lehrbuch „Der in der Buchdruckerei wohl unterrichtete Lehr-Junge“ von Christian Friedrich Geßner (1743) findet sich eine Beschreibung des angeblichen kaiserlichen Buchdruckerwappens. Darin tauchen die fünf Farben — wild verstreut — alle auf: „schwarzer Adler / im goldenen Felde / blauer Grund / Greif aus Silber / Helmdecke teils roth.“
Das „Typographen-Lied“, auf dem unser Bundescantus basiert, wurde bei der feierlichen Aufstellung des Gutenbergdenkmals in Mainz am 14. August 1837 als Beitrag der Mannheimer Delegation vorgetragen. Das „Journal für Buchdruckerkunst, Schriftgießerei und die verwandten Fächer“, Nr. 10, vom 31. Oktober 1837, berichtete ausgiebig über die mehrtägigen Denkmal-Feierlichkeiten und druckte dabei auch den siebenstrophigen Text des Liedes ab. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand ist das die erste Veröffentlichung des „Drucker-Farbfünfklanges“ in der uns geläufigen Form.
Ich habe lange geglaubt, die Grafia habe die Farbgebung ihres Couleurs in der Verbindungsgründungsphase im Jahr 1955 — mit Bezug auf das Lied — selbst entwickelt. Zumindest legte das der Bericht unseres Gründungsmitgliedes Heinz Schwend (* 1932, ✝︎ 2019) von 1986 nahe, in dem er schrieb: „Die Farben der Verbindung sollten mit den alten Druckerzunftfarben […] aus dem Mittelalter übereinstimmen. Anregungen dazu entnahmen wir dem Lied „Stoßt an! Typographia soll leben“ aus dem Liederbuch der Schwarzen Kunst, Leipzig.“
Zum ersten Mal bekam ich an dieser Grafia-Historie etwas Zweifel, als ich Ende 2015 auf den Blog „Schreibenistblei“ des Berliner Druckers Martin Z. Schröder stieß. In einem Eintrag vom 21. Juli 2009 beschäftigte er sich ebenfalls mit dem Wappen der Buchdrucker. Darunter hatte ein Leser am 14. Juni 2015 folgenden Kommentar hinterlassen:
„Sehr geehrter Kollege! Ich bin gelernter Schriftsetzer (mit Gehilfen- und Gautschbrief!) und Maschinensetzer und erinnere mich plötzlich an das Coleurband, das ich lange Jahre getragen habe, aber das nicht mehr auffindbar ist. Ich bin mittlerweile 74 Jahre alt, bin aber immer noch in meinem Herzen „Schwarzkünstler“ und trauere dem Verfall der deutschen Sprachen nach. Wo kann ich ein Coleurband (purpur/gold/blau/silber/schwarz) erstehen? Vielen Dank und Gott grüß die Kunst!“
Wenn dieser Blog-Kommentator, wie es sein Beitrag nahelegt, ca. 1940/41 geboren wurde, und er nach (?) seiner Lehrzeit ein Couleurband getragen hat, dann müsste das um 1960 herum gewesen sein. Da war die Grafia gerade fünf Jahre alt. Abgesehen davon, dass es damals bei der Grafia nur Bierzipfel, Anstecknadel und Holzkrug und noch keine Couleurbänder gab, erscheint es mir ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Grafia-Band öffentlich im Betrieb (?) getragen wurde.
Irgendwie beschlich mich bei diesem Kommentar der Verdacht, dass es schon VOR der Gründung der Grafia Druckercouleur gegeben haben könnte. Den ersten Beweis für diese Vermutung fand ich in der Publikation „Der Buchdruckerstreik — Eine lustige Komödie in einem Aufzug“ (1908, Halle a. d. Saale). Auf einer Anzeigenseite am Ende des Büchleins wurden „Krawattennadeln, Schildform, fünffarbig, emailliert“ wahlweise mit Buchstaben-kombination V.d.D.B. angeboten. Ebenfalls be-worben wurden „Uhrband, Bierzipfel, fünffarbig mit Buchdruckerwappen“, „Weinzipfel, fünffarbig“ und „Buchdruckerband, fünffarbig“.
Verschiedene Couleurnadeln des V.d.D.B.
Quelle: Sammlung A. Jakob
Der „V.d.D.B.“ war der am 20. Mai 1866 in Leipzig gegründete „Verband der deutschen Buchdrucker“, die zweite Gewerkschaft Deutschlands. Nur die Tabakarbeiter waren 1865 mit dem „Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiter-Verein“ ein Jahr früher dran. Drei Jahre nach der Druckergewerkschaft folgte 1869 die Gründung des allerersten deutschen Arbeitgeberverbands, dem „Deutschen Buchdruckerverein“.
Mit unserem BB Ernst-Jürgen Berner v/o Auxiliarius (* 1965, ✝︎ 2019) hatte ich mich irgendwann über dieses Thema unterhalten und er berichtete, dass er aus seiner Familienhistorie eine solche Krawattennadel besitze. Am 7. März 2017 mailte er mir dazu: „Was ich dir auf die Schnelle zusenden kann, ist die Abbildung einer Krawattennadel meines Großvaters väterlicherseits, der mit seinem Bruder zusammen Ende der Zwanziger oder Anfang der Dreißiger Jahre eine Druckerei gründete. […]. Auf der Rückseite dieser Krawattennadel ist zu lesen: „BILDUNGSVERBAND D.DEUTSCH.BUCH-DRUCKER“. Anzumerken ist, bezüglich weiterer Überlegungen hinsichtlich irgendwelcher „Organisationen“, dass mein Großonkel, wenn ich das noch recht weiß, ein Schweizerdegen war, mein Großvater aber eigentlich gelernter Werkzeugmacher ...“
Im Oktober 2017 erreichte mich dann eine E-Mail folgenden Inhalts:
„Sehr geehrter Herr Jakob,
auf der Suche nach einem Bierzipfel und anderen Verbindungsartikel (Couleurband, Corpsschleifen) in den sog. Druckerfarben, bin ich auf eine Ab-bildung eines Bierzipfels der TV Grafia […] gestoßen. Besteht die Möglichkeit einen solchen Bierzipfel auch außerhalb Ihrer Verbindung zu erwerben oder können Sie mir den Hersteller nennen, der solche Verbindungsartikel mit den (5) Druckerfarben, vertreibt? Ich selbst bin Druckermeister (IHK Würzburg), Drucktechniker der Nürnberger Schule und ehem. Mitglied der in den 80er Jahren aufgelösten Verbindung „Gutenbergia Noris“. […]“.
Wir recherchierten zur genannten Verbindung „Gutenbergia Noris“ (1952 in Nürnberg als Absolventenvereinigung der Höheren Fachschule für das Graphische Gewerbe gegründet) und nahmen umgehend den Kontakt auf, fragten nach den Hintergründen und erhielten eine sehr ausführliche und interessante Antwort:
„Gerne will ich Ihnen meinen Wunsch, einen Bierzipfel mit den Druckerfarben zu besitzen, schildern. […] Nach meiner Lehrzeit […] als (Blei-) Schriftsetzer und (Buch-)Drucker, (=„Schweizer Degen“) in einer Universitätsdruckerei, wurde ich damals (noch), wie alle Lehrlinge, gegautscht und somit als Jünger Gutenbergs in den Gesellenstand übernommen.
Neben dem damals obligatorischen Gautschbrief, erhielt ich auch eine kleine Schleife (= Bandschnalle oder Ordensband) mit den Druckerfarben. Den Rat, dieses Schleifchen in Ehren zu halten, habe ich bis heute befolgt. Während der Gesellenzeit hatte ich einmal Kontakt mit einem Drucker, der mir stolz seinen „Bierzipfel“ mit Druckergreif zeigte. Damals wollte ich bereits als echter Jünger Gutenbergs einen solchen besitzen.“
Es muss also fünffarbige Drucker-Bierzipfel auch außerhalb und vor der Grafia gegeben haben!
Quelle: Sammlung A. Jakob
Über einige kleine Umwege über BB Chips an BB Creativix an mich gelangte Anfang 2018 eine Broschüre des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Abteilung Schriftguß, Satz und Druck-verfahren (2014) in meine Hände. Darin waren die Reiseutensilien des Wander-Gesellen „W. H.“ aus Bruch an der Mur/Steiermark, von 1899/1900 abgebildet, unter anderem ein fünffarbiger Zipfel mit Gutenbergmotiv. Im Text der Publikation wurde dazu erläutert: „Der organisierte Wander-Geselle zog von Ort zu Ort und erhielt bei den jeweiligen örtlichen Viatikum-Kassen der Buchdruckervereinigungen eine tägliche Reiseunterstützung/Wegzehrung. Hinweise zu den Orten mit Zahlstellen fand man, neben weiteren Anmerkungen wie z.B. Herbergen, möglichen Arbeitsstellen [...] in speziellen Reisebüchern aufgelistet.“
Fassen wir mal kurz zusammen: Es gab also fünffarbigen Zipfels mit Gutenbergmotiv bereits um 1899/1900, kommerzieller (Buch-) Drucker-Couleur wurde schon um 1908 angeboten. Die V.d.D.B.-Couleurnadel gabe es in den späten 1920er und frühen 1930er-Jahren.
Und es existieren fünffarbige Bierzipfeln mit dem Buchdrucker-Greif aus der Zeit vor der Gründung unserer Verbindung Grafia.
Zwei Schlussfolgerungen daraus:
Schlussfolgerung 1
Die Annahme, unsere Gründungsburschen haben unser Couleur selbst entwickelt, scheint mir zumindest sehr gewagt zu sein. Zwar kann eine „Neuerfindung“ oder „Ideengebung“ aufgrund der genannten Liedvorlage nicht ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher ist aber die Übernahme oder zumindest die deutliche Orientierung an einer bestehenden „Druckercouleurtradition“.
Schlussfolgerung 2
Wenn es schon so viele Nach- und Hinweise auf fünffarbigen „Vor-Grafia“-Druckercouleur gibt, dann müsste man davon doch etwas real in die Hände bekommen können!!!
Damit war der Sammeltrieb geweckt. Hallo ebay!
Zwischenzeitlich konnte einiges an „Branchen-couleurdevotionalien“ zusammentragen werden. BB Jenever und ich haben Nachweise gefunden, dass verschiedene Druckergesang- und Vergnügungsvereine die fünf Farben als Erkennungszeichen benutzten, u.a. im Elsass und in Österreich.
Quelle: Sammlung A. Jakob
Der V.d.D.B.-Gau-Dresden gab zum 60-jährigen Verbandsgründungs-Jubiläum Anstecknadeln mit fünffarbigem Band heraus. Der Arbeitgeber-verband „Deutscher Buchdrucker-Verein“ verlieh Mitarbeiter-Orden mit fünffarbiger Couleurschleife und separatem Reversknopf. Bierzipfel gab es mit unterschiedlichen Motiven — Satzfehlerteufeln, Gutenbergmotiven, Druckerwappen etc.
Quelle: Sammlung A. Jakob
In Budapest existierte zwischen 1903 und 1957 der Sport- und Fussballverein „Typografia“, der die fünffarbige Symbolik mit einem stark abstrahierten Greif in seinem Signet aufgriff.
Quelle: Sammlung A. Jakob
In der Nachkriegszeit scheint Couleur in der Arbeiterschaft allerdings schnell und weitest-gehend „aus der Mode“ gekommen zu sein. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten und durch die Erfahrungen mit „hehren Bannern“, unter denen man sich versammelte, auf die man Schwüre leistete, hinter denen man marschierte und für die man massenhaft starb, ist diese Entwicklung m.E. auch ziemlich gut verständlich.
Die Grafia ist heute wohl die einzige Branchenorganisation, die noch „aktiv“ die fünffarbige Symbolik der Drucker- und Setzerzunft verwendet. Abgesehen von einigen „altgedienten“ Druckern und Setzern sowie einigen befreundeten Verbindungen und Farbengeschwistern, denen wir die Historie unserer Farben erklärt haben, wissen auch in der heutigen Druck- und Medienbranche nur noch wenige, was die fünf Farben und unser Wappentier bedeuten.
Obwohl — eine Ausnahme habe ich doch gefunden:
Als am 20. Mai 2016 die Gewerkschaft ver.di die Ausstellung „Vom Deutschen Buchdruckerverband zur Einheitsgewerkschaft – ver.di. Solidarität. Emanzipation. Tarifkampf.“ eröffnete und damit dem exakt 150 Jahre früher gegründeten Verband der Deutschen Buchdrucker gedachte, da hing hinter dem Redner Frank Werneke die purpur-gold-blau-silber-schwarze Fahne.
Mit dem Buchdruckerwappen und dem Branchengruß „Gott grüß‘ die Kunst!“